Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz geht über EU-Vorgaben hinaus

Der am 10.5. vom Bundestag gebilligte Entwuf für das AGG (früher Antidiskriminierungsgesetz) geht überraschend über die gemeinschaftsrechtliche Mindestverpflichtung einer 1:1-Umsetzung von vier EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung hinaus.

Entgegen den Andeutungen im Koalitionsvertrag unterscheidet sich der Entwurf nicht gravierend vom rot-grünen Entwurf aus der vergangenen Legislaturperiode. So soll das Gesetz für zivilrechtliche Massengeschäfte und privatrechtliche Versicherungen auch Benachteiligungen wegen der sexuellen Identität, des Alters, der Behinderung und der Religionszugehörigkeit umfassen. Außerdem ist im Arbeitsrecht ein Klagerecht für Betriebsräte und Gewerkschaften geplant.

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Im Gegensatz zum rot-grünen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes hat sich die große Koalition jedoch gezielt für den Begriff "Benachteiligung" statt "Diskriminierung" entschieden, um deutlich zu machen, dass nicht jede unterschiedliche Behandlung, die mit der Zufügung eines Nachteils verbunden ist, diskriminierenden Charakter hat.

 

 

 

Das Gesetzgebungsverfahren soll noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden - ein Inkrafttreten des AGG ist für August 2006 geplant.

Zum neuen Benachteiligungsschutz im Einzelnen:

I. Diskriminierungsschutz in Beschäftigung und Beruf

Hier liegt der Schwerpunkt der Richtlinien und damit auch des Umsetzungsgesetzes. Das AGG normiert ein Benachteiligungsverbot, das alle Diskriminierungsmerkmale aus Art. 13 EG-Vertrag (Geschlecht, Rasse oder ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexuelle Identität) berücksichtigt. Die bisherigen Vorschriften über die Gleichbehandlung wegen des Geschlechts, die das Arbeitsrecht im BGB betreffen, werden in das AGG übernommen.

Beschäftigte, die von einer Diskriminierung betroffen sind, haben folgende Rechte:

 

 

 

  • sie können sich bei den zuständigen Stellen (z.B. beim Arbeitgeber, einem Vorgesetzten oder der Arbeitnehmervertretung) beschweren;
  • Benachteiligte haben Anspruch auf Ersatz des ihnen entstanden materiellen und immateriellen Schadens;
  • wer seine Rechte in Anspruch nimmt, darf deswegen keinen Nachteil erleiden.

 

 

 

Diese Rechte sind als individuelle Ansprüche der Beschäftigten ausgestaltet, die notfalls vor dem Arbeitsgericht eingeklagt werden können. Im Interesse der Rechtssicherheit soll der Beschäftigte etwaige Ansprüche innerhalb von drei Monaten seit Kenntnis von der Diskriminierung geltend machen müssen.

 

 

 

Details zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz können Sie unserem kostenlosen Download "Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz im Arbeitsrecht" entnehmen.

Klagerecht für Betriebsrat und Gewerkschaften geplant

 

 

 

Bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot ist in dem Entwurf ein Klagerecht des Betriebsrats oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft vorgesehen.

Kirchenklausel

 

 

 

Kirchen und Religionsgemeinschaften dürfen ihre Beschäftigten weiterhin mit Rücksicht auf deren Religion oder Weltanschauung auswählen, soweit dies im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit gerechtfertigt ist.

Anwendung auf Beamte

 

 

 

Die arbeitsrechtlichen Vorschriften gelten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung entsprechend für alle Beamtinnen und Beamten sowie Richter/innen des Bundes und der Länder.


II. Diskriminierungsschutz im Bereich des allgemeinen Zivilrechts

 

Im Privatrecht werden bei Geschäften, bei denen es dem Vertragspartner nicht darauf ankommt, mit wem er den Vertrag schließt (sogenannte Massengeschäfte), alle Merkmale geschützt, deretwegen man nach Art. 13 EG-Vertrag nicht diskriminieren darf.

 

 

 

Damit wird der geschlechtsspezifische Schutz und der Schutz vor ethnischer Benachteiligung über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch auf die Merkmale Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Religion oder Weltanschauung erstreckt.

 

 

 

Benachteiligungsschutz bei Massengeschäften

 

 

 

Bei Massengeschäften handelt es sich gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG um privatrechtliche Rechtsgeschäfte, die typischerweise

 

 

 

  • ohne Ansehen der Person,
  • zu vergleichbaren Bedingungen,
  • in einer Vielzahl von Fällen

 

 

 

zustande kommen. Ebenfalls von dem Begriff umfasst sind Geschäfte, bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen.

 

 

 

Zu den Massengeschäften zählen damit z.B. die meisten Kaufverträge, Verträge mit Hotels, Gaststätten und Kaufhäusern sowie gem. § 19 Abs. 1 Nr. 2 auch privatrechtliche Versicherungen.

 

 

 

Nicht unter diesen Begriff fallen dagegen beispielsweise der Verkauf des gebrauchten Pkw oder die Vergabe von Bankkrediten. Auch die Vermietung von Wohnraum soll in der Regel nicht vom AGG umfasst werden.

 

 

 

Sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung möglich

 

 

 

Sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen bleiben im Rahmen der Massengeschäfte gem. § 20 AGG für die Diskriminierungsmerkmale Geschlecht, Lebensalter, Behinderung, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung zulässig.

 

 

 

Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung kann insbesondere vorliegen, wenn sie

 

 

 

  • der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,
  • dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
  • besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
  • an die Religion oder Weltanschauung eines Menschen anknüpft [...]

 

 

 

Versicherungen dürfen die Risiken weiterhin sachlich kalkulieren. Bei Unterscheidungen wegen des Geschlechts ist - europarechtlich vorgegeben - eine auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhende Risikobewertung erforderlich. Es gibt aber keinen Zwang zu „Unisex-Tarifen“.

 

 

 

Bei Unterscheidungen wegen der Merkmale Behinderung, Alter, sexuelle Identität sowie Religion oder Weltanschauung wird verlangt, dass diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhen.

 

 

 

Erweitertes Benachteiligungsverbot aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft

 

 

 

Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist gem. § 19 Abs. 2 AGG auch bei sonstigen zivilrechtlichen Schuldverhältnisse unzulässig. Hier kommt somit z.B. auch eine Anwendung im Mietrecht in Betracht.

 

 

 

Diesbezüglich ist lediglich eine Ausnahme für den persönlichen Nähebereich vorgesehen, z.B. wenn der Vermieter (oder seine Angehörigen) und der Mieter auf einem Grundstück wohnen.

 

 

 

Das Gesetz stellt zudem explizit klar, dass bei der Vermietung von Wohnraum eine sozial ausgewogene Zusammenstellung der Mietergemeinschaft zulässig bleibt, wie dies auch § 6 Wohnraumförderungsgesetz vorsieht.

 

 

 

Keine Anwendung im Familien- und Erbrecht

 

 

 

Das AGG findet explizit keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse.

 

 

 

Rechtsfolge: Schadensersatz

 

 

 

 

Wer gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot verstößt, hat den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen (z.B. Mehrkosten für eine Ersatzbeschaffung, unter Umständen Entschädigung für die Würdeverletzung nach den Umständen des Einzelfalls). Ein „Strafschadensersatz“ ist weder durch die Richtlinien gefordert noch im Gesetz vorgesehen.

 

 

 

III. Rechtsschutz

Die im Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht geregelten Rechte sind Individualansprüche, so dass der Benachteiligte selbst entscheiden kann, ob und wie er seine Rechte verfolgt. Im Interesse der Rechtssicherheit soll er etwaige Ansprüche innerhalb von drei Monaten seit Kenntnis von der Diskriminierung geltend machen müssen.

 

 

 

Achtung Beweislastumkehr: Anzeigen sorgfältig formulieren

 

 

 

Nach dem Modell des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB ist eine Beweiserleichterung vorgesehen: Wenn Tatsachen glaubhaft gemacht werden können, die eine Benachteiligung wegen eines im Gesetz genannten Merkmals vermuten lassen, kehrt sich die Beweislast um: Dann muss die andere Seite (also z.B. der Arbeitgeber oder ein Lieferant bei Massengeschäften) beweisen, dass die unterschiedliche Behandlung erlaubt war.

Es reicht zwar nicht die einfache Behauptung aus, ein Mitbewerber um einen Arbeitsplatz sei eingestellt worden, weil er männlich / jünger / älter / katholisch / nicht behindert / heterosexuell / deutscher Abstammung sei, sondern es muss zunächst dargelegt und glaubhaft gemacht werden, dass die eigene Abweisung darauf beruht, Frau / zu jung / zu alt / Muslima / farbig / behindert etc. zu sein.

 

 

 

Abfällige Äußerungen während eines Bewerbungsgesprächs bzw. bei der Ablehnung eines Bewerbungsgesprächs können entsprechende Anhaltspunkte geben. Dies gilt auch für Anzeigen, die an die im Gesetz erwähnten Merkmale anknüpfen, ohne dass dies sachlich begründet ist.

 

 

 

Antidiskriminierungsverbände

 

 

 

Die Richtlinien schreiben außerdem vor, dass Verbänden, die sich für die Interessen Benachteiligter (Antidiskriminierungsverbände) einsetzen, Beteiligungsrechte einzuräumen sind. Ihnen werden deshalb die Rechtsberatung und die Vertretung vor Gericht in Verfahren ohne Anwaltszwang gestattet. Antidiskriminierungsverbände müssen mindestens fünfundsiebzig Mitglieder haben; bei Dachverbänden genügen sieben Mitgliedsverbände.

Die Bundesländer sollen für Diskriminierungsklagen ein obligatorisches außergerichtliches Schlichtungsverfahren einführen können. Solche obligatorischen Schlichtungen nach § 15a EGZPO sind bereits heute in vielen Bundesländern, z.B. für Ehrverletzungsklagen, vorgesehen.


IV. Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Europarechtlich ist vorgegeben, dass Deutschland eine Antidiskriminierungsstelle schaffen muss. Sie wird für alle Diskriminierungsmerkmale zuständig sein. Soweit andere Beauftragte der Bundesregierung und des Bundestags zuständig sind (z.B. die Migrationsbeauftragte oder der Behindertenbeauftragte), gibt sie die Eingaben mit Zustimmung der Betroffenen dorthin ab.

Eingerichtet wird die Stelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie wird folgende durch die Richtlinien vorgegebene Aufgaben wahrnehmen:

 

 

 

Unterstützung von Benachteiligten bei der Durchsetzung ihrer Rechte durch Information, Beratung, Vermittlung und Mediation, Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen, regelmäßige Vorlage von Berichten an den Bundestag, Empfehlungen zur Beseitigung und Vermeidung von Diskriminierungen und Öffentlichkeitsarbeit sowie Sensibilisierungsmaßnahmen.

 

 

 

Die Antidiskriminierungsstelle arbeitet mit den Bundesländern und Nichtregierungsorganisationen sowie den örtlichen Beratungsstellen zusammen. Sie kann sich an Beteiligte (etwa an einen Arbeitgeber oder den zuständigen Betriebsrat) wenden, wenn die betroffene Person damit einverstanden ist. Bundesbehörden sind verpflichtet, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu unterstützen und ihr die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

Quelle: BMJ - Pressemitteilung vom 04.05.06