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Sorgerecht: Schulbesuch und Kindesförderung

Bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein minderjähriges Kind besteht kein grundsätzlicher Vorrang des beruflich weniger beanspruchten Elternteils. Das Kindeswohl ist umfassend zu prüfen. Dabei kann nach einer Entscheidung des OLG Brandenburg auch entscheidend sein, welcher Elternteil besser in der Lage ist, einen regelmäßigen Schulbesuch sicherzustellen.

Sachverhalt

Aus der nicht ehelichen Lebensgemeinschaft der Antragsgegnerin mit dem Antragsteller ging im Mai 2007 ein Kind hervor. Zum Zeitpunkt ihrer Trennung im Juni 2013 hatte die Mutter die alleinige elterliche Sorge. Durch Beschluss vom April 2014 stellte das Amtsgericht auf Antrag des Vaters die gemeinsame elterliche Sorge her. In dem von der Mutter angestrebten Beschwerdeverfahren wurde hingegen festgestellt, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein der Mutter zusteht.

Im März 2015 hat der Vater aufgrund erheblicher Fehlzeiten des Kindes in der Schule die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragt. Das Amtsgericht hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater allein übertragen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die von der Mutter dagegen eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Nach § 1671 BGB sind bei einem Streit über das Aufenthaltsbestimmungsrecht die Kindeswohlkriterien zu prüfen. Gewichtige Gesichtspunkte sind dabei

  • der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt,
  • der Kindeswille, soweit er mit dem Wohl des Kindes vereinbar und das Kind nach Alter und Reife zur Willensbildung im natürlichen Sinn in der Lage ist,
  • die Bindung des Kindes an beide Elternteile und seine Geschwister sowie
  • der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung.

Diese Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander, sondern jedes davon kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung dessen sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Das Kindeswohl ist anhand dieser Gesichtspunkte und deren jeweiliger Gewichtung zu beurteilen. Demnach muss das Familiengericht die Gesichtspunkte, bez. auf beide Elternteile, prüfen und kritisch gegeneinander abwägen.

Im vorliegenden Fall besteht unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes ein eindeutiger Vorrang des Vaters. Bei der Frage, auf welchen Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, kommt es – gerade was den Förderungsgrundsatz angeht – vor allem auf die tatsächlichen Handlungen und Unterlassungen der Eltern und auf ihre Auswirkungen auf das Kindeswohl und nicht so sehr auf ihre Ursachen an.

Da das Kind bei beiden Elternteilen ein eigenes möbliertes Zimmer hat, entsprechen die Wohnverhältnisse bei beiden Elternteilen dem Kindeswohl. Die Mutter ist aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit tagsüber zu Hause, der Vater hingegen in Vollzeit berufstätig. Es besteht aber kein grundsätzlicher Vorrang des weniger oder überhaupt nicht berufstätigen Elternteils vor dem anderen Elternteil (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.07.2013 – 3 UF 47/13). Der Vater arbeitet seit dem Wechsel des Kindes in seinen Haushalt in einem Normalschichtsystem, sodass er unter Inanspruchnahme eines Horts die Betreuung des Kindes sicherstellen kann.

Entscheidend für den Vater spricht, dass er wesentlich besser als die Mutter in der Lage ist, einen regelmäßigen Schulbesuch des Kindes sicherzustellen. Dass die Mutter dieser Pflicht bisher nicht hinreichend nachgekommen ist, hat die Sachverständige bestätigt. Das Kind hat ohne hinreichenden Anlass zu häufig in der Schule gefehlt. Deshalb bleibe es weit hinter seinen möglichen Schulleistungen zurück, wie auch die Lehrerinnen bestätigt haben. Auch wenn es vormittags in der Schule gefehlt habe, werde es draußen beim Spielen angetroffen.

Gegen die von der Mutter angegebenen Erkrankungen des Kindes als Ursache für dessen Fehlen hat die Sachverständige eingewandt, dass weder schwere noch chronische Krankheiten vorgelegen hätten, die das überdurchschnittlich häufige Fehlen nachvollziehbar begründen könnten. Durch diese erheblichen Fehlzeiten war auch die Versetzung des Kindes gefährdet. Die Mutter verschließt die Augen davor und sieht die Ursachen dafür vielmehr in häufigen Lehrerwechseln und einer damit einhergehenden Verunsicherung des Kindes.

Die Sachverständige hat die Erziehungsfähigkeit der Mutter, bez. auf die fehlende zuverlässige zeitliche Strukturierung des Alltags eines schulpflichtigen Kindes, als eingeschränkt eingestuft. Des Weiteren hat sie plausibel geschlussfolgert, dass die Isolation, in die sich die Mutter mit dem Kind geflüchtet habe, deutlich zur Überforderung der Mutter geführt und die Einflussmöglichkeiten der anderen Familienmitglieder verringert habe.

Aus diesen Gründen ist die Sachverständige nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verantwortung für die kontinuierliche Beschulung des Kindes und für die Kontrolle des gesamten Leistungsbereichs umgehend vom Vater übernommen werden müsse. Zwar habe die Mutter in der Vergangenheit durchaus Verantwortung für den schulischen Bereich übernommen – z.B. durch die Begleitung des Schwimmunterrichts der Klasse –, aber nicht bez. auf die Versetzung des Kindes. Der Vater hingegen hat mit der Deutschlehrerin spezielle Aufgabenstellungen für das Kind vereinbart, um dessen Versetzung sicherzustellen. Da das Kind letztlich versetzt wurde, waren die Bemühungen des Vaters offensichtlich erfolgreich.

Dem Vater ist bewusst, dass das Kind beide Elternteile braucht; daher ist er bereit, der Mutter regelmäßigen Umgang einzuräumen. Die Mutter hat allerdings eine Unterstützung in der Betreuung durch den Vater abgelehnt. Nach Ansicht der Sachverständigen bestehen zumindest Zweifel daran, ob es der Mutter uneingeschränkt möglich ist, Eltern- und Paarebene deutlich voneinander zu trennen. Im Interesse des Kindes hätte sie sich über Hilfen Gedanken machen müssen. Zurzeit gewährleistet der Vater eher als die Mutter eine ruhige Entwicklung des Kindes.

Der Kindeswille spielt im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Rolle. Das Kind hat seinen Willen in den Befragungen nicht eindeutig geäußert; fest steht, dass es ihm bei beiden Elternteilen gefallen hat. Seine Meinung wird jedoch häufig von der Mutter vorgegeben. Daher kann von einer von den Eltern unbeeinflussten Willensbildung des Kindes nicht ausgegangen werden. Auch wenn das Kind zu beiden Elternteilen eine Bindung hat und der Kontinuitätsgrundsatz für die Mutter spricht, deuten die sich sehr negativ auswirkenden Fehlzeiten des Kindes in der Schule auf eine Kindeswohlgefährdung hin.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das Kindeswohl steht im Vordergrund einer solchen Entscheidung und ist vom Gericht anhand verschiedener Gesichtspunkte wie Kontinuität, Kindeswille, familiäre Bindung und Förderung zu ermitteln. Jedes dieser Kriterien ist einzelfallbezogen zu gewichten. Das Gericht ist somit verpflichtet zu ergründen, welcher dieser Gesichtspunkte für das Kindeswohl mehr oder weniger bedeutsam ist. Gerade auch für die Frage, auf welchen Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, sind die tatsächlichen Handlungen und Unterlassungen der Eltern und ihre Auswirkungen auf das Kindeswohl maßgeblicher als ihre Ursachen.

Das OLG betont, dass das Gericht für eine realistische Prüfung verpflichtet ist, den Alltag der Familie zu erforschen und sich mit den konkreten Tagesabläufen sowie den daraus resultierenden Vorzügen und Schwachstellen kritisch auseinanderzusetzen. Dabei ist eine analytische Herangehensweise gefordert, um den Einsatz der Eltern getrennt voneinander zu ermitteln und zum Wohl des Kindes gegeneinander abzuwägen. Wenn das Gericht sämtliche Gesichtspunkte im Detail sorgfältig ermittelt und gegeneinander abwägt, kristallisiert sich häufig die bessere Eignung eines Elternteils heraus.

Im vorliegenden Fall hat sich gezeigt, dass sich der Vater lediglich in einem – jedoch wesentlichen – Punkt von der Mutter abhebt, und zwar bez. auf den Förderungsgrundsatz. Der Vater ist – wie die Sachverständige bestätigt hat – besser geeignet, die Erziehung und Betreuung des Kindes zu übernehmen. Denn durch die Gewährleistung eines regelmäßigen Schulbesuchs und durch eine engagierte Nachbereitung der versäumten Lerninhalte hat er gezeigt, dass ihm die schulische Entwicklung seines Kindes am Herzen liegt.

Praxishinweis

Das Gericht ist bei einer solchen Entscheidung verpflichtet, den Alltag der Familie zu erforschen. Diese Erforschung der Privatsphäre darf jedoch keinen Bedenken begegnen, solange sie auf der Grundlage der zu beantwortenden Fragestellung und darüber hinaus grundlegend zum Wohl des Kindes erfolgt.

Der vorliegende Fall zeigt erneut, dass Kinder häufig in ihrer Willensbildung eingeschränkt sind. Sie geben die Meinungen ihrer Eltern wieder, wobei unerheblich ist, ob bewusst, unbewusst, auf Drängen der Eltern oder aus schlechtem Gewissen. Fest steht, dass die Äußerungen von Kindern sensibel zu prüfen sind. Denn nur bei sorgsamer Ermittlung dessen, was für die körperliche und seelische Entwicklung eines Kindes gut ist, kann das Gericht zum Wohl des Kindes eine entsprechende Entscheidung treffen. Ermittelt das Gericht nach eingehender Prüfung aller Kriterien die bessere Eignung eines Elternteils für die Erziehung des Kindes, ist auf diesen Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.09.2016 – 10 UF 62/16

Quelle: Ass. jur. Nicole Seier