Entscheidung nach Ablauf der Abtretungsfrist

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Von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen

Privilegierte Ansprüche

Trotz erteilter Restschuldbefreiung können Gläubiger privilegierten Ansprüche weiter gegen den Schuldner geltend machen, soweit diese innerhalb des Insolvenzverfahrens oder der Wohlverhaltensphase nicht befriedigt wurden. Privilegiert sind die in § 302 InsO genannten Verbindlichkeiten, von denen der Schuldner nicht befreit wird.

Vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung

Nach § 302 Nr. 1 InsO sind Verbindlichkeiten des Schuldners aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen von einer erteilten Restschuldbefreiung nicht umfasst, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrunds nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hatte. Der Gläubiger muss demnach bei der Anmeldung der Forderung diejenigen Tatsachen angegeben haben, aus denen sich seiner Meinung nach der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ergibt (siehe auch Teil 8/1.1.12). Versäumt der Gläubiger diese Anmeldung, wird sein Anspruch von einer Restschuldbefreiung auch dann betroffen, wenn tatsächlich ein Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliegt. Der Tatsachenvortrag kann so lange nachgeholt werden, solange eine Forderung zur Tabelle angemeldet werden kann (BGH v. 16.12.2010 – IX ZR 24/10). Eine Verbindlichkeit des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wird von der Restschuldbefreiung erfasst, wenn der Gläubiger die Forderung nicht unter Angabe des Rechtsgrunds bis spätestens zum Schlusstermin zur Tabelle angemeldet hat; dies gilt auch für den Fall, dass der Schlusstermin im schriftlichen Verfahren durchgeführt wird (BGH v. 19.12.2019 – IX ZR 53/18).

Privilegierte Ansprüche

Als von der Restschuldbefreiung nicht umfasste deliktische Ansprüche kommen insbesondere die sich aus der Regelung des § 823 Abs. 2 BGB ergebenden Forderungen in Betracht. Als aus der insolvenzrechtlichen Perspektive wichtige Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind u.a. zu nennen:

§ 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht), der nach Übergang gem. § 7 Abs. 1 UVG auch gegenüber dem öffentlichen Versorgungsträger Anwendung findet (BGH v. 11.05.2010 – IX ZB 163/09),

§§ 263, 264, 264a StGB (Betrug),

§ 266a StGB (Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen; vgl. OLG Celle, ZInsO 2003, 280, 281).

Es genügt dabei aber nicht, dass sich der Vorsatz des Schuldners auf die Verletzung des Schutzgesetzes bezieht, vielmehr muss auch die Schädigung des Gläubigers von diesem Vorsatz umfasst sein. So sind die Schadensersatzverbindlichkeiten desjenigen, der vorsätzlich im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und dadurch fahrlässig Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet hat, von der Restschuldbefreiung nicht ausgenommen (BGH v. 21.06.2007 – IX ZR 29/06).

Unterhaltsansprüche

In Verfahren, deren Eröffnung nach dem 30.06.2014 beantragt wurde, werden rückständige gesetzliche Unterhaltsansprüche dann nicht von der Restschuldbefreiung umfasst, wenn der Schuldner den Unterhalt vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat (§ 302 Nr. 1 InsO). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Unterhaltsberechtigte in Übereinstimmung mit § 170 Abs. 1 StGB durch die Pflichtverletzung in seinem Lebensbedarf gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre (MüKo-InsO/Stephan, § 302 Rdnr. 5).

Privilegierte Ansprüche des Fiskus

Weiterhin sind in Verfahren, deren Eröffnung nach dem 30.06.2014 beantragt wird, Steuerschulden von einer Restschuldbefreiung ausgenommen, wenn der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder 374 AO rechtskräftig verurteilt wurde.

Eine Verurteilung ist auch dann zu berücksichtigen, wenn deren Eintragung im Bundeszentralregister bereits getilgt ist (BGH v. 01.10.2020 – IX ZR 199/19). Auch eine Bagatellgrenze sieht das Gesetz nicht vor. Das Finanzamt darf durch Verwaltungsakt gem. § 251 Abs. 3 AO feststellen, dass ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist (BFH, v. 28.06.2022 – VII R 23/21, BStBl II, 791; BFH v. 07.08.2018 – VII R 25/17). Das Finanzamt muss daher keine Klage vor den Zivilgerichten erheben. Der BFH begründet dies damit, dass es im Rahmen von § 302 Nr. 1 dritte Alternative InsO nicht um die Feststellung einer Steuerstraftat geht, sondern um die Feststellung einer rechtskräftigen Verurteilung wegen dieser Steuerstraftat. Der Gesetzgeber hat ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine rechtskräftige Verurteilung abgestellt, um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Straftat feststellen zu müssen (BT-Drucks 17/11268, S. 32). Die von § 302 Nr. 1 dritte Alternative InsO geforderte rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung muss bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung vorliegen und nicht schon beim Schlusstermin. Der erlassene Feststellungsbescheid zur (nachträglichen) Feststellung des Attributs der Steuerstraftat zur Insolvenztabelle wird auch nicht dadurch rechtswidrig, dass die in der Insolvenztabelle angemeldete Forderung höher ist als der im Strafbefehl ausgewiesene Betrag, weil auch steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO, die nicht im Strafbefehl bzw. im Urteil enthalten sind, von § 302 Nr. 1 InsO erfasst werden (vgl. BFH v. 07.08.2018 – VII R 24, 25/17, BFHE 262, 208 = BStBl II 2019, 19; BFH v. 28.06.2022 – VII R 23/21, BStBl II, 791; a.A. OLG Hamm, v. 14.01.2018 – 7 U 58/17, ZInsO 2019, 797). In welchem Umfang eine Verbindlichkeit gem. § 302 Nr. 1 dritte Alternative InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen ist, richtet sich danach, inwieweit sich die zur Tabelle angemeldete Steuerforderung und die in der strafgerichtlichen Verurteilung gem. § 267 StPO niederzulegende Berechnung der Steuerverkürzung decken. Nach der AO geschuldete Zinsen unterfallen demnach der Ausnahme nach § 302 Nr. 1 dritte Alternative InsO nur, wenn sie Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung sind (OLG Hamm v. 14.12.2018 – 7 U 58/17).

Umfang der Privilegierung

Privilegiert sind nicht nur die Hauptforderung, sondern auch die Zinsen für die Zeit ab Verfahrenseröffnung, ungeachtet der Tatsache, dass diese Zinsen als nachrangige Forderung mangels gerichtlicher Aufforderung nicht angemeldet werden konnten (BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 67/10). Ebenso sind die Kosten, die durch eine privatrechtliche Rechtsverfolgung der Forderung verursacht wurden, nicht von der Restschuldbefreiung betroffen (BGH v. 16.11.2010 – VI ZR 17/10). Dagegen sind nach Ansicht des FG Baden-Württemberg Hinterziehungszinsen auf Steuerschulden nur dann von der Restschuldbefreiung ausgenommen, wenn sich die strafrechtliche Verurteilung auch auf diese Zinsen bezieht (FG Baden-Württemberg v. 18.05.2017 – 1 K 3539/169).

Kostenanspruch der Staatskasse

Die dem Schuldner in einem Strafverfahren auferlegten Gerichtskosten zählen nicht zu den Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung i.S.v. § 302 Nr. 1 InsO (BGH v. 16.11.2010 – VI ZR 17/10).

Erstattungsanspruch des Nebenklägers

Auch der Anspruch des Geschädigten einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung, welcher im Strafverfahren gegen den Schädiger als Nebenkläger aufgetreten ist, auf Erstattung der Kosten der Nebenklage ist nicht aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung begründet (BGH v. 21.07.2011 – IX ZR 151/10).

Säumniszuschläge

Hat sich der Schuldner wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 266a StGB strafbar gemacht, gehören Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV nicht zu den von einer Restschuldbefreiung ausgenommenen Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (BGH v. 16.02.2012 – IX ZR 218/10).

Geldstrafen

Nach § 302 Nr. 2 InsO sind Geldstrafen, Ordnungsgelder und Geldbußen, die nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangige Verbindlichkeiten darstellen, von der Restschuldbefreiung nicht betroffen. Hier steht der persönliche Charakter der Forderung im Vordergrund, sie soll nicht durch Restschuldbefreiung zur Naturalobligation werden, sondern in jedem Fall vom Schuldner zu erfüllen sein.

Darlehen zur Kostendeckung

Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden. Solche Darlehen, die von Verwandten des Schuldners oder von karitativen Einrichtungen mitunter gewährt werden, sollen trotz erteilter Restschuldbefreiung durch den Schuldner getilgt werden. Angesichts der Möglichkeit der Kostenstundung dürfte die Gewährung eines Darlehens zur Bestreitung der Verfahrenskosten jedoch kaum von praktischer Relevanz sein.

Neuforderungen

Weiterhin bleiben auch diejenigen Ansprüche von einer Restschuldbefreiung unberührt, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, da es sich nicht um Insolvenzforderungen handelt. Solche sogenannten Neuforderungen muss der Schuldner ohne Einschränkung erfüllen. Eine Restschuldbefreiung gegenüber diesen Verbindlichkeiten kommt erst nach Ablauf von zehn Jahren wieder in Betracht.

Klärung im Streitfall

Ob eine Insolvenzforderung als Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von der Restschuldbefreiung betroffen wird oder ungeachtet einer Restschuldbefreiung gegen den Schuldner geltend gemacht werden kann, ist im Streitfall durch das Prozessgericht zu klären ("Attributsklage"). Dies kann sowohl im Rahmen einer Leistungs- oder Feststellungsklage als auch innerhalb einer Vollstreckungsabwehrklage geschehen. Das Prozessgericht ist auch dann zuständig, wenn die Forderung als solche öffentlich-rechtlicher Natur ist (BGH v. 02.12.2010 – IX ZB 271/09). Für das Feststellungsbegehren, dass ein zur Insolvenztabelle festgestellter Anspruch auf (Kindes-)Unterhalt entgegen dem vom Schuldner erhobenen Widerspruch i.S.v. § 174 Abs. 2 InsO auch auf unerlaubter Handlung beruht, ist als Unterhaltssache gem. § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG das Familiengericht zuständig; das gilt insbesondere auch dann, wenn die Unterhaltsforderung als solche bereits gerichtlich tituliert ist (OLG Celle v. 07.05.2012 – 10 WF 385/10; KG v. 30.08.2011 – 18 WF 93/11).

Anerkennung des Rechtsgrunds

Der Schuldner kann den Schuldgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam anerkennen (BGH v. 25.06.2015 – IX ZR 199/14). Wirksam ist dagegen die Anerkennung des Rechtsgrunds der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in einem gerichtlichen Vergleich (BGH v. 25.06.2009 – IX ZR 154/08).

Widerspruch des Schuldners

Wird die angemeldete Forderung zur Insolvenztabelle festgestellt, kann sich der Schuldner dann nicht mehr auf die Befreiung von dieser Forderung berufen, wenn er es versäumt hat, die Forderung im Prüfungstermin zu bestreiten, obwohl er durch das Insolvenzgericht entsprechend § 175 Abs. 3 InsO belehrt wurde. Hat der Schuldner dagegen der Forderung oder auch nur dem deliktischen Rechtsgrund im Prüfungstermin widersprochen, so hindert dieser Widerspruch die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle (§ 201 Abs. 2 InsO).

Nichttitulierte Forderung

Will der Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Forderung weiter gegen den Schuldner geltend machen, so muss er sich einen entsprechenden Vollstreckungstitel verschaffen. Wendet sich der Schuldner dabei gegen die Forderung mit der Begründung, sie sei von der Restschuldbefreiung betroffen, obliegt es dem Prozessgericht, den Rechtsgrund der Forderung zu klären, wobei den Gläubiger die Beweislast trifft. Alternativ kann der Gläubiger auch schon vor Abschluss des Insolvenzverfahrens die Feststellungsklage nach § 184 Abs. 1 InsO gegen den Schuldner mit dem Ziel erheben, die Privilegierung der Forderung feststellen zu lassen (BGH v. 18.01.2007 – IX ZR 176/05; siehe Teil 8/2.2). Die Klage ist nicht an die Einhaltung einer Frist gebunden (BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 124/08). Auch verjährt der Anspruch des Gläubigers auf Feststellung des Rechtsgrunds einer vollstreckbaren Forderung als solcher aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht nach den Vorschriften, welche für die Verjährung des Leistungsanspruchs gelten (BGH v. 02.12.2010 – IX ZR 247/09). Liegt demnach z.B. ein Vollstreckungsbescheid vor, der zwar die Forderung ausweist, jedoch nicht verbindlich den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung belegen kann, so unterliegt die Forderung als solche der 30-jährigen Verjährungsfrist. Solange diese Frist nicht abgelaufen ist, tritt auch die Verjährung des Anspruchs auf Feststellung, dass es sich bei dieser Forderung um einen Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt, nicht ein. Ist dagegen die Forderung auf einer anderen Rechtsgrundlage tituliert, kann der Schuldner dem Begehren des Gläubigers auf Feststellung, dass es sich dabei auch um die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt, mit der Verjährungseinrede begegnen, wenn die für den deliktischen Anspruch geltende dreijährige Verjährungsfrist abgelaufen ist (BGH v. 03.03.2016 – IX ZB 33/14).

Titulierte Forderung

War die angemeldete Forderung bereits tituliert, so kann ihr der Schuldner zwar gleichwohl widersprechen, jedoch gilt sein Widerspruch als nicht erhoben, wenn er seinen Widerspruch nicht binnen Monatsfrist durch Erhebung einer Feststellungsklage verfolgt (§ 184 Abs. 2 InsO). Nach fruchtlosem Ablauf der Frist kann dem Gläubiger ein vollstreckbarer Tabellenauszug erteilt werden. Einer Zwangsvollstreckung aus diesem Tabellenauszug kann der Schuldner nicht mit der Begründung begegnen, die Forderung könne aufgrund der erteilten Restschuldbefreiung nicht mehr geltend gemacht werden. Die Fiktion des § 184 Abs. 2 InsO kann jedoch nur dann eintreten, wenn es sich bei dem im Vorfeld des Insolvenzverfahrens erworbenen Titel um ein Urteil handelt, in dem der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung explizit festgestellt wird. Ist dies nicht der Fall oder liegt nur ein Vollstreckungsbescheid vor, so muss der Gläubiger den vom Schuldner erhobenen Widerspruch durch Erhebung einer entsprechenden Feststellungsklage (§ 184 Abs. 1 InsO) beseitigen, um einen vollstreckbaren Tabellenauszug erhalten zu können. Mit der unanfechtbaren Verurteilung des Geschäftsführers einer GmbH zum Schadensersatz für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile von Sozialversicherungsbeiträgen steht gegenüber der Klägerin noch nicht rechtskräftig fest, dass der zuerkannte Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht und deshalb von einer etwaigen Restschuldbefreiung des Beklagten nicht ergriffen wird (BGH v. 05.11.2009 – IX ZR 239/07).

Neuerwerb nach Restschuldbefreiung

Nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung im andauernden Insolvenzverfahren (sog. asymmetrisches Verfahren) entfällt der Insolvenzbeschlag für den Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung, auch wenn er von dieser nicht erfasst wäre (§ 300a Abs. 1 Satz 1 InsO). Ausgenommen sind Vermögensbestandteile, die aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden oder die aufgrund eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits oder aufgrund Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters zur Insolvenzmasse gehören (§ 300a Abs. 1 Satz 2 InsO).

Dem Antrag auf Insolvenzeröffnung und dem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung ist stets die Erklärung beizufügen, dass der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren (Altfälle gem. § 287 Abs. 2 InsO a.F. bis 30.09.2020) bzw. drei Jahren (§ 287 Abs. 2 InsO ab 01.10.2020) nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abtretungsfrist) an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt. Eine taggenaue Erteilung der Restschuldbefreiung durch das Gericht nach drei, fünf bzw. sechs Jahren nach Eröffnung des Verfahrens ist allerdings der Ausnahmefall. Denn aufgrund der unterschiedlichen, individuellen Arbeitsweisen der Gerichte ergeht in der gerichtlichen Praxis der Beschluss über die Restschuldbefreiung meistens viel später.

Restschuldbefreiung nach sechs bzw. drei Jahren

Erhält ein Schuldner nach sechs Jahren (Altverfahren) bzw. drei Jahren Restschuldbefreiung, endet die Abtretungsfrist bei Altverfahren punktgenau nach sechs Jahren (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO a.F.) bzw. bei Verfahren ab dem 01.10.2020 nach drei Jahren (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO). Daraus folgt, dass Gelder, die der Arbeitgeber als Drittschuldner nach diesem Zeitablauf an den Treuhänder überwiesen hat, dieser an den Schuldner zurückzahlen muss. Denn die Grundlage der Zahlung (Abtretung) ist nach Ablauf der Abtretungsfrist automatisch entfallen. Der Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Restschuldbefreiung ist dafür unerheblich. Dem Schuldner steht somit automatisch mit Fristablauf das pfändbare Einkommen wieder zu, weil im Zeitpunkt der danach erteilten Restschuldbefreiung die erteilte Abtretung keine Wirksamkeit mehr hat.

Neuerwerb bei vorzeitiger Restschuldbefreiung nach drei bzw. fünf Jahren

Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 InsO a.F. (Altverfahren bis 30.09.2020) ist einem Schuldner auf Antrag vorzeitig nach Ablauf von drei bzw. fünf Jahren nach Insolvenzeröffnung Restschuldbefreiung zu erteilen. Auch hier muss der Schuldner zuvor für die Dauer von sechs Jahren (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO a.F.) seine pfändbaren Einkünfte an einen Treuhänder abtreten.

Für Verfahren ab dem 01.10.2020 gilt ebenfalls die Möglichkeit der vorzeitigen Restschuldbefreiung. Wurden nämlich im Insolvenzverfahren keine Forderungen angemeldet, oder sind die Insolvenzforderungen befriedigt worden, und hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten berichtigt, entscheidet das Gericht auf Antrag des Schuldners schon vor Ablauf der Abtretungsfrist über die Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Problem: noch nicht beendete Abtretungsfrist

Die Problematik besteht allerdings darin, dass die Abtretungsfrist zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Restschuldbefreiung – im Gegensatz zur Restschuldbefreiung nach sechs (bei Altverfahren bis 30.09.2020) bzw. drei Jahren – noch nicht beendet ist. Vielmehr endet die Abtretungsfrist erst mit Rechtskraft des Beschlusses über die Restschuldbefreiung (Altverfahren bis 30.09.2020: § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO a.F. i.V.m. § 299 InsO; Verfahren ab 01.10.2020: § 300 Abs. 2 Satz 4 InsO).

Beispiel 1

Das Insolvenzverfahren wurde am 01.04.2017 eröffnet:

a) Am 01.04.2020 endet die dreijährige Frist: Das Gericht erlässt am 01.06.2020 den Beschluss über die vorzeitige Restschuldbefreiung. Er wird am 01.08.2020 rechtskräftig.

b) Am 01.04.2022 endet die fünfjährige Frist: Das Gericht erlässt am 01.06.22 den Beschluss über die vorzeitige Restschuldbefreiung. Er wird am 01.08.2022 rechtskräftig

Lösung

Im Fall a) endet die Abtretungsfrist am 01.08.2020, 0 Uhr.

Im Fall b) endet die Abtretungsfrist am 01.08.2022, 0 Uhr.

Bis zur Rechtskraft des Beschlusses stehen dem Treuhänder weiterhin die pfändbaren Einkommensteile zu.

Beispiel 2

Das Insolvenzverfahren wurde am 01.10.2020 beantragt und am 01.12.2020 eröffnet.

Am 01.12.2023 endet die dreijährige Frist. Da keine Forderungen angemeldet wurden, erlässt das Gericht am 01.05.2022 den Beschluss über die vorzeitige Restschuldbefreiung. Dieser wird am 01.07.2022 rechtskräftig.

Lösung

Die Abtretungsfrist endet am 01.07.2022, 0 Uhr; bis zur Rechtskraft des Beschlusses stehen dem Treuhänder weiter die pfändbaren Einkommensteile zu.

Pflicht zur Rückzahlung von zu viel eingezogenen Einkünften

Der Treuhänder muss somit zu viel eingezogene Gelder an den Schuldner zurückzahlen (Altverfahren bis 30.09.2020: § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO a.F. i.V.m. § 299 InsO; Verfahren ab 01.10.2020: § 300 Abs. 2 Satz 4 InsO). Dort heißt es: "Wird dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt, gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist oder nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse."

Auch für die Schuldner, bei denen die Abtretungsfrist von sechs Jahren (Altfälle bis 30.09.2020) bzw. drei Jahren bei Verfahren ab 01.10.2020 zwar noch nicht beendet ist, aber die Voraussetzungen für eine vorzeitige Restschuldbefreiung vorliegen, muss der Treuhänder zwischen dem dritten (bzw. fünften) Jahr nach Insolvenzeröffnung und der rechtskräftigen Restschuldbefreiung zu viel eingenommene (bei Altfällen) bzw. in den Fällen des § 300 Abs. 2 Satz 1 InsO (für Verfahren ab 01.10.2020) Gelder an den Schuldner als sogenannten Neuerwerb zurückerstatten (vgl. § 300a Abs. 2 Satz 3 InsO). Insofern muss der Treuhänder bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung den Neuerwerb an den Schuldner herausgeben und über die Verwaltung des Neuerwerbs Rechnung legen (LG Lübeck, NZI 2022, 747; LG Bochum, NZI 2021, 634). Bis zur rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung hat der Verwalter bzw. Treuhänder den Neuerwerb treuhänderisch zu vereinnahmen und zu verwalten. Erfolgt eine vorzeitige Restschuldbefreiung, ist alles, was bis zur rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung noch eingezogen wurde, als Neuerwerb zu behandeln und an den Schuldner zurückzuzahlen.

Praxistipp

Schuldner sollten unbedingt vom Gericht die durch den Treuhänder vorzulegende Rechnungslegung anfordern bzw. Akteneinsicht nehmen. In diesem Zusammenhang betont nämlich das LG Bochum (NZI 2021, 634), dass bei einem Verstoß des Treuhänders gegen diese Grundsätze dieser schuldhaft handelt und daher dem Schuldner zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er fälschlicherweise die vereinnahmten Gelder an die Gläubiger ausschüttet.

Einkommensteuerzahlungen

Darüber hinaus gehören ungeachtet der erteilten Restschuldbefreiung auch solche Vermögenswerte zur Insolvenzmasse des laufenden Insolvenzverfahrens, die zwar nach Erteilung der Restschuldbefreiung eingehen, deren Grundlage aber während des Verfahrens gelegt wurde. So gehört etwa der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb des Schuldners, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens vor Ablauf der Abtretungsfrist verwirklicht worden ist (BGH v. 13.01.2022 – IX ZR 64/21, Vollstreckung effektiv 2022, 182). Im Übrigen kann der Schuldner den Neuerwerb, den er nach Erteilung der Restschuldbefreiung erzielt, ungeachtet des noch laufenden Insolvenzverfahrens für sich beanspruchen (vgl. BGH v. 13.02.2014 – IX ZB 23/13, Rpfleger 2014, 392). Umgekehrt sind Neugläubiger (vgl. Teil 4/7) sowie Insolvenzgläubiger, deren Forderung von der Restschuldbefreiung nicht betroffen wird, über § 89 InsO nicht gehindert, in den Neuerwerb die Zwangsvollstreckung zu betreiben.