Anfechtungstatbestände

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Unentgeltliche Leistung

Begriff

Objektive und subjektive Voraussetzungen

Unentgeltliche Leistungen des Schuldners sind anfechtbar (§ 134 InsO). Eine Leistung ist objektiv unentgeltlich, wenn der Leistende keinen Ausgleich für seine Leistung erlangt bzw. der Empfänger keine wertausgleichende Gegenleistung zu erbringen hat. Auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten ist nur dann abzustellen, wenn diese einen Gegenwert als volles Entgelt für eine Zuwendung angesehen haben (BGH v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90; OLG München v. 03.06.2014 – 5 U 107/14). Entgeltlichkeit liegt in diesem Sinne auch dann vor, wenn die Beteiligten davon ausgingen, dass mit der Leistung des späteren Insolvenzschuldners eine Verbindlichkeit getilgt wird, die objektiv nicht bestand (OLG Koblenz v. 11.03.1999 – 5 U 1160/98). Eine Leistung ist nicht unentgeltlich, wenn der Schuldner zu der Leistung verpflichtet gewesen ist oder er wenigstens eine solche Verpflichtung angenommen hat (BGH v. 09.10.2014 – IX ZR 294/13). Es steht den Beteiligten hinsichtlich der Bewertung der beiderseitigen Leistungen ein Spielraum – der sogenannte Bewertungsspielraum – zu. Beweist der Insolvenzverwalter ein Missverhältnis des objektiven Werts von Leistung und Gegenleistung – wobei es auf das Wertverhältnis zum Zeitpunkt der potentiell anfechtbaren Verfügung ankommt –, so kann die Anwendung des § 134 Abs. 1 InsO dennoch daran scheitern, dass beide Teile nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Parteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgegangen sind und zudem in gutem Glauben von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung überzeugt waren, jedoch müssen objektive Umstände vorgelegen haben, die eine solche Annahme der Vertragsparteien erlaubten (OLG Nürnberg v. 15.04.2021 – 5 U 1524/17).

Vorleistung des Schuldners

Für die Frage der Entgeltlichkeit i.S.v. § 134 InsO kommt es auch nicht darauf an, ob ein Schuldner mit seiner Leistung in Vorleistung geht und die Gegenleistung seines Vertragspartners erst in Zukunft erbracht werden muss. Das gilt auch, wenn es zu einer Störung des Austauschverhältnisses kommt und die Gegenleistung nicht erbracht wird. Denn wenn der Schuldner mit dem Anfechtungsgegner eine angemessene Gegenleistung für die von ihm erbrachte Zuwendung vereinbart hat, kann diese nicht schon deshalb als unentgeltlich angefochten werden, weil die Gegenleistung ausgeblieben ist. Es genügt für die Annahme der Entgeltlichkeit, dass in diesem Fall der Schuldner seine Leistung zurückfordern (§ 323 Abs. 1, § 326 Abs. 4 und 5, § 812 Abs. 1 Satz 2 erster Fall BGB; BGH v. 20.04.2017 – IX ZR 252/16) oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann (§§ 280, 281 BGB; Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 134 Rdnr. 10). Daher ist die Bestellung einer Sicherheit für eine eigene, entgeltlich begründete, künftig entstehende Verbindlichkeit ebenso entgeltlich wie die Abtretung einer Forderung erfüllungshalber zur Erfüllung entgeltlich begründeter, künftig entstehender Verbindlichkeiten (BGH v. 19.07.2018 – IX ZR 296/17).

Teilweise Unentgeltlichkeit

Unentgeltlich kann eine Leistung des Schuldners auch dann sein, wenn ein Vermögensgegenstand erheblich unter Wert verkauft wird und der Hauptzweck des Geschäfts die (teilweise) unentgeltliche Zuwendung ist (vgl. LG Dresden, ZInsO 2002, 140). In diesem Fall kann der Insolvenzverwalter die Zahlung des Differenzbetrags zur Masse verlangen. Sind sich dagegen die Vertragsparteien des Wertunterschieds zwischen Leistung und Gegenleistung nicht bewusst, kommt eine Anfechtung nur nach § 132 InsO oder § 133 InsO in Betracht. Veräußert der Schuldner einen Vermögensgegenstand, dessen objektiver Wert denjenigen der vereinbarten Gegenleistung erheblich übersteigt, scheidet eine Anfechtung wegen einer teilweise unentgeltlichen Leistung aus, wenn beide Teile nach den objektiven Umständen der Vertragsanbahnung, der Vorüberlegungen der Parteien und des Vertragsschlusses selbst von einem Austauschgeschäft ausgehen und zudem von der Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen überzeugt sind (BGH v. 22.10.2020 – IX ZR 208/18).

Leistungen im Familienbereich

Zuwendungen des späteren Insolvenzschuldners an seinen Ehegatten sind dann unentgeltlich, wenn sie weder der Erfüllung des ehelichen Unterhalts noch der Vergütung einer Mitarbeit bei der Geschäftstätigkeit des Insolvenzschuldners dienen (BGH v. 13.03.1978 – VIII ZR 241/76).

Kreditbearbeitungsgebühr

Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Kreditinstituts für den Abschluss von Privatkreditverträgen enthaltene Bestimmung "Bearbeitungsentgelt einmalig 1 %" unterliegt nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der richterlichen Inhaltskontrolle und ist im Verkehr mit Verbrauchern gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (BGH v. 13.05.2014 – XI ZR 405/12). Vor diesem Hintergrund wird die Leistung einer Bearbeitungsgebühr als unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 InsO angesehen (LG Braunschweig v. 22.03.2017 – 9 S 246/16; a.A. AG Göttingen v. 13.01.2016 – 21 C 97/15).

Vorfälligkeitsentschädigung

Dagegen stellt die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung keine unentgeltliche Leistung des Schuldners dar (vgl. OLG Hamburg, WM 2002, 2050).

Unentgeltliche Grundstücksübertragung

Hat sich der spätere Insolvenzschuldner zur unentgeltlichen lastenfreien Übertragung eines Grundstücks verpflichtet, ist die innerhalb von vier Jahren vor dem Insolvenzantrag erfolgte Ablösung eines bei der Übertragung bestehen gebliebenen Grundpfandrechts selbständig als unentgeltliche Leistung anfechtbar (BGH v. 13.02.2014 – IX ZR 133/13).

Anwaltshonorar für die Vertretung von Gesellschaftsorganen

Zahlen die Gesellschafter und späteren Insolvenzschuldner einer Gesellschaft (hier: AG) aus Anlass eines gegen sie selbst und ein Vorstandsmitglied, den späteren Anfechtungsgegner, geführten Ermittlungsverfahrens u.a. wegen des Verdachts der Untreue gegen die Gesellschaft den Anwälten des Anfechtungsgegners das Verteidigerhonorar, liegt darin eine unentgeltliche Zuwendung der Insolvenzschuldnerin an den Anfechtungsgegner; diese unterliegt der Anfechtung aus § 134 InsO (OLG Hamm, ZIP 2002, 313).

Nachträgliche Bestellung von Sicherheiten

Die nachträgliche Bestellung einer Sicherung durch den Schuldner für eine Verbindlichkeit aus einer von ihm begangenen unerlaubten Handlung stellt eine entgeltliche Leistung dar; Gleiches gilt für die Verstärkung des Anspruchs durch Schuldanerkenntnis (BGH v. 18.03.2010 – IX ZR 57/09).

Gewinnausschüttung

Vertraglich vereinbarte, von Jahresüberschüssen abhängige Gewinnausschüttungen sind unentgeltlich, wenn die Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, fehlerfrei erstellte Jahresabschlüsse keine Gewinne ausgewiesen hätten und der Schuldner aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre darum wusste (BGH v. 22.07.2021 – IX ZR 26/20).

Stellung von Sicherheiten für Schulden der Muttergesellschaft

Hat sich die Insolvenzschuldnerin zur Sicherung einer Schuld ihrer Muttergesellschaft mitverpflichtet, stellt dies regelmäßig eine unentgeltliche Verfügung i.S.v. § 134 Abs. 1 InsO dar, wenn sie nicht aufgrund einer entgeltlich begründeten Verpflichtung zur Bestellung der Sicherheit verpflichtet war (OLG Köln, ZInsO 2000, 156).

Einsetzung eines Bezugsberechtigten

Die Einsetzung eines Dritten als Bezugsberechtigten einer Kapitallebensversicherung stellt regelmäßig eine unentgeltliche Leistung i.S.d. § 134 InsO dar, soweit nicht der Empfänger seinerseits für den erhaltenen Gegenstand eine Leistung zu erbringen hatte (BGHZ 121, 179, 183; 141, 96, 99). Die anfechtbare Leistung besteht dabei nicht in der Summe der vom Versicherungsnehmer aufgebrachten Prämien, sondern in der dem Dritten ausbezahlten Versicherungssumme. Demzufolge ist anfechtungsrechtlich – zumindest bei lediglich widerruflicher Benennung des Dritten als Bezugsberechtigten – nicht auf den Zeitpunkt der Einsetzung des Bezugsberechtigten, sondern auf den Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01). Bezeichnet dagegen der Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung als Bezugsberechtigten im Todesfall unwiderruflich seinen Ehegatten, ist die Zuwendung der Versicherungsleistung regelmäßig bereits mit der Bezeichnung als Bezugsberechtigter vorgenommen. Dies gilt auch dann, wenn die Versicherungsleistung im Erlebensfall dem Versicherungsnehmer zustehen soll und das Bezugsrecht des Ehegatten daran geknüpft ist, dass die Ehe mit dem Versicherten bei dessen Tod besteht (BGH v. 27.09.2012 – IX ZR 15/12).

Unentgeltlichkeit im Dreipersonenverhältnis

Wird eine dritte Person in einen Zuwendungsvorgang eingeschaltet, kommt es für die Frage der Unentgeltlichkeit der Leistung des Schuldners nicht darauf an, ob der Schuldner selbst einen Ausgleich für seine Leistung erhalten hat. Entsprechend der Wertung des § 134 Abs. 1 InsO, dass der Empfänger einer Leistung dann einen geringeren Schutz verdient, wenn er keine ausgleichende Gegenleistung zu erbringen hat, hängt die Unentgeltlichkeit von dem Ausbleiben eines Vermögensopfers des Zuwendungsempfängers ab (BGHZ 162, 276, 279 f.; 174, 228, 231 Rdnr. 8; BGH v. 30.03.2006 – IX ZR 84/05). Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob der Leistungsempfänger eine Gegenleistung erbringt, ist der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs (BGHZ 162, 276, 281; BGH v. 30.03.2006 – IX ZR 84/05). Hat er vertragliche Leistungen bereits erbracht, kann eine ausgleichende Gegenleistung nur nach dem Wert eines bestehenden, aber noch nicht ausgeglichenen Anspruchs bemessen werden. Ist dieser zum Zeitpunkt der Leistung nicht werthaltig, liegt eine unentgeltliche Zuwendung vor. Der Leistungsempfänger, der lediglich eine nicht werthaltige Forderung gegen seinen Schuldner verliert, ist gegenüber den Gläubigern des Insolvenzschuldners nicht schutzwürdig, denn er hätte ohne dessen Leistung, auf die er keinen Anspruch hatte, seine Forderung nicht durchsetzen können (BGHZ 162, 276, 281 f.; BGH v. 30.03.2006 – IX ZR 84/05). Hingegen ist unerheblich, ob der Schuldner gegenüber dem mittelbar begünstigten Drittschuldner – etwa im Rahmen einer konzernähnlichen Abrede – zu der Leistung verpflichtet war oder ob er ein eigenes Interesse an der Leistungserbringung hatte (BGHZ 174, 228, 232 Rdnr. 11 ff.; BGH v. 01.06.2006 – IX ZR 159/04; BGH v. 20.07.2006 – IX ZR 226/03; BGH v. 07.05.2009 – IX ZR 71/08).

Begleicht der Schuldner die gegen einen insolvenzreifen Dritten gerichtete Forderung des Anfechtungsgegners, stehen werthaltige Außenstände des Dritten der Unentgeltlichkeit der Zuwendung nur entgegen, wenn der Anfechtungsgegner auf diese trotz der materiellen Insolvenz des Dritten insolvenzbeständig hätte zugreifen können (BGH v. 17.06.2010 – IX ZR 186/08).

Begleicht der Schuldner eine gegen einen Dritten gerichtete wertlose Forderung, scheidet eine Schenkungsanfechtung aus, wenn eine weitere Person für die Forderung eine werthaltige Sicherheit gestellt hatte, die der durch die Zahlung befriedigte Gläubiger verliert (BGH v. 03.04.2014 – IX ZR 236/13).

Stiller Gesellschafter

Zahlungen des Inhabers eines Handelsgewerbes an einen stillen Gesellschafter, denen ein gewinnunabhängiges Zahlungsversprechen im Gesellschaftsvertrag zugrunde liegt, sind entgeltliche Leistungen, wenn sie die Gegenleistung für die erbrachte Einlage darstellen (BGH v. 05.07.2018 – IX ZR 139/17).

Anfechtungsvoraussetzungen

Eine unentgeltliche Leistung des Schuldners ist anfechtbar

gem. § 134 Abs. 1 InsO, soweit sie nicht früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde;

gem. § 134 Abs. 2 InsO, soweit sie sich nicht auf ein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk richtet.

Der Insolvenzverwalter trägt die Beweislast für die Unentgeltlichkeit der Leistung. Der Anfechtungsgegner ist beweispflichtig für das Vorliegen der die Anfechtung ausschließenden Tatbestandsmerkmale.

Fristbeginn

Maßgebend für den Beginn der in § 134 InsO genannten Fristen ist wiederum der Anfang des Tags, der durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem der Antrag auf Verfahrenseröffnung beim Insolvenzgericht eingegangen ist (§ 139 Abs. 1 InsO).

Eingeschränkte Rückgabepflicht

Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist (§ 143 Abs. 2 Satz 1 InsO). Diese Haftungserleichterung entfällt gem. § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO jedoch, wenn der Empfänger weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die Zuwendung die Gläubiger benachteiligt. Die im Hinblick auf die Gläubigerbenachteiligung bestehende Unkenntnis des Anfechtungsgegners muss hierbei vom Zeitpunkt der Leistungsvornahme bis zum Wegfall der Bereicherung andauern (vgl. BGH v. 24.03.2016 – IX ZR 159/15). Beweispflichtig für die Kenntnis des Anfechtungsgegners ist der anfechtende Insolvenzverwalter.